2008 BERLIN - FLIEDNER GALERIE

Beitrag von Kunsthistoriker Dr. Jörg Kuhn über Jonas D. anlässlich der Ausstellung in der Galerie Fliedner in Berlin, 24.09.2008 

 

Jonas D. hat den Weg zur Kunst sehr früh und zielstrebig gefunden, oder besser:  er ist früh zur Kunst berufen worden. Und doch: was für eine Metamorphose auch in seinem Leben: nach hartem Lebensweg gelang Jonas D. in der 1960er und 1970erJahren ein kometenhafter Aufstieg als künstlerischer Chronist der aktuellen Zeitgeschichte: hart, unbestechlich, erotisch aufgeladen bis zum Pornographischen gerieten seine großformatigen Bilder, die Stellung nahmen zu den Kriegen und umwälzenden gesellschaftlichen Entwicklungen. Die international beachteten – und erworbenen -Bilder aus dieser Zeit sind Ikonen, nicht nur weil sie vielfach Ikonenzeigen: Rosa Luxemburg, Fidel Castro, und immer wieder: weibliche Soldatinnen, sondern weil sie ohne Spur von Banalität den Blick auf das Wesentliche lenken. Sozusagen: Intellekt ohne Verklausulierung.

 


 

Einzelausstellungen seiner Werke fanden seit 1968 in Berlin, und dann in dichter Folge im ln- und Ausland statt, so 1971 in Kassel, 1974 und 1975 in Montreal, 1974 in New York und San Francisco, 1982 Schloss Babstadt Galerie Steiner, 1983 Aschaffenburg, 1987 in Schweinfurt und 1988 in Innsbruck. 

 

Die Liste der Ausstellungsbeteiligten ist nicht minder illuster, hier finden sich neben Berlin als Ausstellungsorte 1967 Hannover, 1968 Stuttgart und München, 1969 Ostende und Wolfsburg, 1971 Nürnberg und wieder Ostende, 1977 Rostock und 1978 die Beteiligung an der Ausstellung „Berliner Realisten“ in Moskau. Berlin, und hier ist die Beteiligung an der Großen Berliner Kunstausstellung, an der Freien Berliner Kunstausstellung und an zahlreichen Galerieausstellungen zu benennen, ist jedoch das eigentliche Epizentrum der künstlerischen Präsentation.

 

Der gesellschaftliche Erfolg von Jonas D. in den 1960er und 1970er Jahren hatte aber nicht den persönlichen Höhenflug ohne Ende als Ergebnis, sondern, im Gegenteil, das grenzenlose Bedürfnis aus diesem rasenden Zug nach oben auszusteigen. Das hat Jonas D. konsequent getan. Aus dem erfolgreichen Maler Jonas D. wurde zuerst der Verstummte, der Verunsicherte, wurde dann der Suchende, wurde, im Ergebnis, der Künstler Jonas Dangschat oder auch „Govind“ als künstlerisches Doppeltalent neu geboren: als Maler und Musiker.

 

Die Kunst des Musizierens ist untrennbar mit der Kunst des Malens verquickt, beide Ausdrucksformen bedingen einander. Die Musik ist dabei die täglich ausgeschöpfte Quelle von Inspiration und Kraft, die Malerei das Mittel der Visualisierung der inneren Bewegung, der Erkenntnis und das zentrale Mittel der Kommunikation jenseits desakustischen Hörens.

 

1999, (ohne Titel), 80x60, Gouache Acryl-Papier

Ein beherrschendes Thema im Werk Jonas Dangschats ist die Brücke, die vielgestaltig und in unterschiedlichster Interpretation immer wieder auf seinen Bildern zu finden ist. Das andere große Thema ist der fokussierte Ausblick.

 

Dass sich beide Themen sowohl als Bindeglieder zwischen Künstler und Außenwelt lesen lassen, als auch generell als Chiffren der Kommunikation, als Angebot, scheint deutlich. Doch einfach sind die Angebote nicht zu haben. Es wird Arbeit gefordert, Gefühlsarbeit, Denkarbeit, Wandlungsfähigkeit, Begeisterungsfähigkeit und auch die Fähigkeit sich völlig zu verlieren, um dann wiedergefunden zu werden.

 

Der Künstler selbst mach es sich nicht leicht. Er ist derjenige, der da die Brücken baut, aber auch einreißt, er ist derjenige, der die Ausblicke aus Höhlen und Schluchten in das Material bricht. Er aber gibt auch vor, in welche Richtung der Ausblick gehen soll, ohne jedoch eine Garantie dafür zu übernehmen, dass auf der anderen Seite etwas ist. Aber er unterfütterte seine Angebote mit vertrauten Stimmungen, gibt Anlas zur Beruhigung, will Vertrauen schaffen. Das gelingt nicht immer. Es bleiben Fragen, es bleiben Unsicherheiten.

 

2012, anderes Ufer, 50x70, Acryl-Leinwand

2012, die Quelle, 65x50, Acryl-Holz


Manches Bild fasziniert eher durch das Wagnis, das angeboten wird. Die Kraft der Bilder resultiert vom Gestaltungswillen und ebenso vom Mut zum gelenkten Zufall. Gelenkter Zufall scheint nun vordergründig ein Widerspruch: der Künstler, der sein Bild mit Farb- und Formauflösender Feuchtigkeit konfrontiert, kann den Guss lenken, den Verlauf des Fließens über das Bild kann er nur sehr begrenzt beeinflussen. Er muss also ein beherzter, genialer Guss sein, sonst ist das Bild verdorben.

 

So zu arbeiten erfordert die Eignung zum Spieler und auch den Mut zum Verlust. Das Spiel mit der Freiheit der Gestaltung erfordert nicht nur einen beweglichen Geist, sondern auch Selbstbewusstsein - zumindest das Selbstbewusstsein, dem Zufall eine so gute Steilvorlage zu geben, das er gar nichtanders kann, als mitzuspielen. Das Resultat wird dann begutachtet und - so viel Kunst muss sein, gegebenenfalls weiter gestaltet, bis alles seinen Platz und Ort hat, sein Verhältnis und das Bild eine Botschaft.

 

Von den etwa 50 Werken, die Jonas Dangschat hier zeigt, will ich nur stellvertretend wenige näher benennen. 

 

lm Empfangsraum haben Sie sicherlich das großformatige Bild mit dem Titel „OM“ gesehen. Es entstand 1985, Acryl auf Leinwand. lm Schilf, wie einst Moses, liegt hier ein großgeratener Säugling, darüber eine engelartige schreiende Gestalt mit ausladenden Gesten. Sie nimmt direkt Kontakt zum Betrachter auf. Darunter das weite Wasser, überspannt mit einem Seil, darauf eine skizzierte Gestalt, balancierend. Das Leben des Menschen beginnt mit einem Schrei, einem Schrecken, man wird hinausgeworfen ins Leben. Dann geht es weiter, auf dem dünnen Seil balancieren wir über das Wasser, mal mutig, mal unsicher, gespannt. Das Leben ist ein Balanceakt.

 

lm Raum 5.1 rechts vom Empfangsraum aus, hängt das auch mit Acrylfarben auf Leinwand gemalte Bild „Der Tag wie eine Brücke“ aus dem Jahr 1994.

Ein See im Sommer ist zu erkennen. An seinem Rand lagern, liegen, sitzen dicht an dicht Männer und Frauen. Über den See sind spinnennetzartig seilartige Brückengespannt, über die Menschen balancieren.  Durch die Verwischung von Formen und Konturen erhält das Bild etwas sehr Unwirkliches, Traumhaftes. Es ist nicht einfach Abbild, es lädt ein, sich hinein zu versenken und über das Leben nach zu sinnen.

Der Tag wie eine Brücke - Acryl auf Leinwand,  1993 (125x160)


Hier im Raum können Sie zwei weitere wichtige Werke von Jonas D. betrachten. 

 

Zum einen das 2008 entstandene Bild „Discover ll“ (Acryl auf Leinwand). lm Bildvordergrund sind zwei menschliche Individuen zu erkennen. Sie scheinen in einer Art Höhle zu stehen. Die Felswände öffnen sich zur Bildmitte hin. Hinter Nebelschwaden erscheint ein kostbares rötliches Licht. Das Licht am Ende des Tunnels sozusagen. Das ist die vordergründige Ebene des ersten Eindrucks.

 

Bald bemerkt der Betrachter aber jene durch Schüttung entstandenen Schlieren, die ejakulathaft vom Bildrand zum Zentrum verlaufen. Ihr Ziel die rötliche Mitte.

Es ist eine Befruchtung von immenser Intensität, die hier geschieht, vor den staunenden Augen der Menschen im Bild, die mit dem Betrachter Zeuge dieses naturgewaltigen Aktes sind. Was sonst im inneren des Körpers verborgen geschieht, ist hierriesengroß wieder gegeben. Der Mensch hingegen, ist ganz klein, ist von dem Naturereignis übermannt und staunt.

 

 

Discover II - Acryl auf Leinwand, 2008 (95x115)
Discover II - Acryl auf Leinwand, 2008 (95x115)

Discover II - Acryl auf Leinwand, 2008 (95x115)


Zum anderen hängt hier das großformatige Acrylfarbenbild „Aschermittwoch“ von 2006. Wieder sind Menschen vor und in einer Naturkulisse zu erkennen. Felsen und vielleicht ein Gletscher lassen sich ausmachen. Entdeckerlust könnte ein Motiv des Bildes sein. Die Gruppe im Vordergrund wirkt, verglichen mit den beiden Menschen in der Höhle links im Bild, monumental. Es entsteht so nicht nur eine enorme Bildtiefe, sondern ein innen und außen, wobei der Bildbetrachter zusammen mit den Figuren im Bildvordergrund in das Bild hineingezogen wird und teilnehmen kann, andere Entdeckung der Welt.

 

Der Titel „Aschermittwoch“ erinnert daran, dass die Ausgelassenheit im menschlichen Sein auch Momente der Ruhe, des ln-sich-hinein-Horchens bedarf, um sich selbst bewusst zu werden. Darüber hinaus erinnert die rotbraune Farbe der Vordergrundfiguren an Asche im Kohleofen, was weitere Ebenen zur Betrachtung eröffnet.

 

lm Flur vor diesem Raum hier hängen eine ganze Reihe von Bildern aus dem Atelier von Jonas D.  - ihnen gemeinsam ist das Thema Licht und Bewegung. Charakteristisch ist etwa die futuristische anmutende Gouache „Lumineszenz“ vom 1993, die einen fremden Planeten zu zeigen scheint. Ein Komet scheint gerade in die Oberfläche zu dringen. Es ist wiederum ein Bild, das die gewaltige Kraft der Vereinigung zu beinhalten scheint. Es ist ein Bild mit einer großen suggestiven Wirkung.

 

 

2004, Begegnung mit Blau, 160x130, Acryl-Leinwand

Gegenüber hängt die 2007 erschaffene Gouache mit dem Titel „Disco“. Unter dem künstlichen Lichterhimmel, der wie ein gewaltiges Maul aufklafft und in dem die Lichtquellen wie Zähne wirken, tanzt eine Gruppe Menschen. Die künstliche Glitzerwelt der Discotheken erschient hier aber wie in einer ethnologischen Skizze dokumentiert. Der selbstverliebte Tanz ist merkwürdig erstarrt. Bewegung und Innehalten sind hier simultan wiedergegeben.

 

Tanz ist auch auf dem Bild „Eine therapeutische Maßnahme“ von 2000 dargestellt. Vier tanzende Mädchen in weißen Kleidern zu sehen. Schattengleich von geradezu monströser Größe erheben sich hinter ihnen scheinbar vier weitere Tänzerinnen. Es sind aber nur imaginäre Figuren, geformt aus Erinnerung und Erfahrung, aus der Fülle des Ererbten, all jenem also, was über die Generationen bewahrt in uns fort lebt und in unserem aktuellen Tun begleitet. Das Bild zeigt die Sichtbarmachung des in uns Verborgenen.

 

 

2006, Eine therapeutische Maßnahme, 70x105, Acryl-Leinwand